2013 | 2

ANT und die Medien

Complete edition (PDF)

Contents

Editorial Lorenz Engell, Bernhard Siegert

Von einer Soziologie der Mediation zu einer Pragmatik der Attachements. Rückblick auf einen soziologischen Parcours innerhalb der CSI Antoine Hennion

Querulatorisches Schreiben. Paranoia, Aktenberge und mimetischer Parasitismus um 1900 Rupert Gaderer

Debatte: Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0 Rudolf Maresch, Mercedes Bunz

Sich quer durch die Kultur schlagen. Über die französische Zeitschrift Traverses Ulrich Raulff, Marie Luise Syring

Kommentar zu Ulrich Raulffs und Marie Luise Syrings Porträt der französischen Zeitschrift Traverses - Das Unbehagen der Suhrkamp-Kultur Philipp Felsch

Den Kühen ihre Farbe zurückgeben. Von der ANT und der Soziologie der Übersetzung zum Projekt der Existenzweisen. Bruno Latour im Interview mit Michael Cuntz und Lorenz Engell Bruno Latour, Michael Cuntz, Lorenz Engell

Wie Netzwerkuntersuchungen zu Ermittlungen über Existenzweisen führen. Anmerkungen zur Enquête sur les modes d’existence Michael Cuntz

Jedes Medium braucht ein Modicum: Zur Behelfstheorie von Akteur-Netzwerken Tristan Thielmann

Medium Infrastruktur. Trajektorien soziotechnischer Netzwerke in der ANT Gabriele Schabacher

Von der Intermedialität zur Intermaterialität. Akteur-Netzwerk-Theorie als ›Übersetzung‹ post-essentialistischer Medienwissenschaft Andrea Seier

Den kinematorgafischen Akteuren folgen André Wendler

Abstracts

Lorenz Engell, Bernhard Siegert Editorial

Die zunehmende und sich zunehmend ausfächernde Rezeption der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) in der deutschsprachigen Medientheorie ist als eine der interessantesten Konjunkturen der kulturwissenschaftlichen Medienforschung in den letzten Jahren bezeichnet worden. Zweifellos hängt diese Faszination mit dem Umstand zusammen, dass der Ansatz der ANT der deutschsprachigen Medienforschung einen Ausweg verspricht aus einer Situation, die lange geprägt war vom Gegensatz zwischen Soziologie und Technikmaterialismus oder, mit anderen Worten, vom aufreibenden Kampf um die letztbegründende Instanz des Sozialen oder des Technischen.

Editorial

Antoine Hennion Von einer Soziologie der Mediation zu einer Pragmatik der Attachements. Rückblick auf einen soziologischen Parcours innerhalb der CSI

Im Zentrum dieses Beitrags steht der Rückblick Hennions auf seinen eigenen intellektuellen Weg innerhalb des CSI, den er aus der Perspektive aktueller Fragestellungen reflektiert neu bewertet. Der Autor zeigt, wie das CSI seit seiner Gründung eine Soziologie entwickelte, welche den Objekten größere Aufmerksamkeit schenkt, mit denen es sich befasste (Recht, Wissenschaft und Technik, Ökonomie, Kultur) und diskutiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der damals in der STS und auf dem Gebiet der Kultur geleisteten Feldforschung, so etwa die Verwendung von Begriffen wie Übersetzung und Mediation oder das unterschiedliche Verhältnis zu Bourdieus kritischer Soziologie. Im Anschluss befasst der Text sich mit dem langsamen Aufkommen pragmatistischer Ansätze in Frankreich. Gestützt auf diese Genealogie schließt er mit dem Vorschlag einer Neuformulierung der Thesen des Pragmatismus in der Soziologie ausgehend von seiner eigenen Arbeit zu Liebhabern und Attachements.

Von einer Soziologie der Mediation zu einer Pragmatik der Attachements. Rückblick auf einen soziologischen Parcours innerhalb der CSI

Rupert Gaderer Querulatorisches Schreiben. Paranoia, Aktenberge und mimetischer Parasitismus um 1900

Um 1900 interessierte sich die Psychiatrie für »eigentümliche Schriftstücke« von »paranoiden Querulanten«. Indizien für das Krankheitsbild »Querulanten-Paranoia« waren Anomalien der materiellen Schriftspur und der Performanz des Schreibens. Diese Diagnosen über das Rauschen des Schriftzugs und die querulatorische Schreibszene lassen sich bis auf bürokratische Beschlüsse des späten 18. Jahrhunderts zurückführen. Gesetze und Deklarationen etwa, in denen der Querulant als Typus eines spezifischen Klägers in den Gerichtsverfahren der preußischen Bürokratie wirkmächtig installiert wurde. Was psychiatrische und bürokratische Diskussionen dabei beschäftigte, ist etwas, das »mimetischer Parasitismus« genannt werden kann.

Querulatorisches Schreiben. Paranoia, Aktenberge und mimetischer Parasitismus um 1900

Rudolf Maresch, Mercedes Bunz Debatte: Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0

Durch den digitalen Medienwandel ist der Begriff der Öffentlichkeit problematisch geworden. Die Debatte fokussiert sich zumeist auf die Frage, ob die sogenannte bürgerliche Öffentlichkeit durch das Internet im Niedergang begriffen ist oder eine Intensivierung und Pluralisierung erfährt. Rudolf Maresch zeichnet die berühmte Untersuchung der Kategorie durch Jürgen Habermas nach und zieht den von ihm konstatierten Strukturwandel der Öffentlichkeit in Zweifel. Dagegen verweist er auf die gouvernementalen und medialen Prozesse, die jede Form von Kommunikation immer schon gesteuert haben. Öffentlichkeit sei daher ein Epiphänomen nicht allein des Zeitungswesens, sondern der bereits vorgängig ergangenen postalischen Herstellung einer allgemeinen Adressierbarkeit von Subjekten. Heute sei Öffentlichkeit innerhalb der auf Novitäts- und Erregungskriterien abstellenden Massenmedien ein mit anderen Angeboten konkurrierendes Konzept. Mercedes Bunz konstatiert ebenfalls eine Ausweitung und Pluralisierung von Öffentlichkeit durch den digitalen Medienwandel, sieht aber die entscheidenden Fragen in der Konzeption und Verteilung von Evaluationswissen und Evaluationsmacht. Nicht mehr die sogenannten Menschen, sondern Algorithmen entscheiden über die Verbreitung und Bewertung von Nachrichten. Diese sind in der Öffentlichkeit – die sie allererst erzeugen – weitgehend verborgen. Einig sind sich die Autoren darin, dass es zu einer Pluralisierung von Öffentlichkeiten gekommen ist, während der Öffentlichkeitsbegriff von Habermas auf eine singuläre Öffentlichkeit abstellt.

Debatte: Strukturwandel der Öffentlichkeit 2.0

Ulrich Raulff, Marie Luise Syring Sich quer durch die Kultur schlagen. Über die französische Zeitschrift Traverses

In Frankreich findet sich der Ansatz zu einem neuen Denken, das sich nicht damit begnügt, seine Enttäuschung über das sogenannte »Versagen« der Ideologien auszudrü cken, das nicht bei jeder Stellungnahme der üblichen Trennung zwischen strukturalistischen, semiologischen und marxistischen Theorien verhaftet bleibt und sich weiterhin von der Vergangenheit her aufbaut, sondern wesentlich prospektiver ist, seinen Ausgangspunkt in der Gegenwart nimmt und in dessen Mittelpunkt das steht, was unsere Gegenwart formt und umformt, nämlich die »Technik« im weitesten Sinne. …

Philipp Felsch Kommentar zu Ulrich Raulffs und Marie Luise Syrings Porträt der französischen Zeitschrift Traverses - Das Unbehagen der Suhrkamp-Kultur

Bei George Steiner, dem wir das Wort von der »Suhrkamp-Kultur« verdanken, finden sich die ersten versteckten Hinweise. Als Rezensent des Times Literary Supplement sorgte er sich 1973 darum, die soeben in der stw-Reihe gestartete Adorno-Werkausgabe möge ihren Autor in den Himmel der ungelesenen Klassiker befördern: »Zwanzig Bände Adorno sind eine ganze Menge«. In der Tat ließ die Suhrkamp-Kultur einen Zug ins Monumentale erkennen. Das Standbein der neuen Reihe bildeten große Werkausgaben, zwei Jahre vor Adorno waren gerade erst zwanzig Bände Hegel erschienen. Es mag sein, dass dieser Stil mit der Theoriekultur der westdeutschen Studentenbewegung brach, die gegen den Muff der akademischen Philosophie auf den Essay, das Fragment und das Paperback gesetzt hatte. Auf der anderen Seite erscheint er wie deren folgerichtige Konsequenz. Bedienten Suhrkamps gewichtige Gesamtausgaben nicht die Lesewut einer Generation, deren archäologische Grabung in den »Textkellern der Väter« das Projekt der Revolution sukzessive in Philologie verwandelt hatte? …

Kommentar zu Ulrich Raulffs und Marie Luise Syrings Porträt der französischen Zeitschrift Traverses - Das Unbehagen der Suhrkamp-Kultur

Bruno Latour, Michael Cuntz, Lorenz Engell Den Kühen ihre Farbe zurückgeben. Von der ANT und der Soziologie der Übersetzung zum Projekt der Existenzweisen. Bruno Latour im Interview mit Michael Cuntz und Lorenz Engell

Dieses Interview führten Michael Cuntz und Lorenz Engell am Rande eines Workshops zur Existenzweise der Fiktion [FIC], den Bruno Latour im Rahmen des AIME-Projektes am 13. und 14. Juni gemeinsam mit Antoine Hennion am IKKM abgehalten hat.

Bruno Latour im Interview mit Michael Cuntz und Lorenz Engell

Michael Cuntz Wie Netzwerkuntersuchungen zu Ermittlungen über Existenzweisen führen. Anmerkungen zur Enquête sur les modes d’existence

Anmerkungen zur Enquête sur les modes d’existence anlässlich des Interviews mit Bruno Latour: "Den Kühen ihre Farbe zurückgeben. Von der ANT und der Soziologie der Übersetzung zum Projekt der Existenzweisen."

Wie Netzwerkuntersuchungen zu Ermittlungen über Existenzweisen führen. Anmerkungen zur Enquête sur les modes d’existence

Tristan Thielmann Jedes Medium braucht ein Modicum: Zur Behelfstheorie von Akteur-Netzwerken

Durch die ANT sind zwei Forschungsfelder umrissen: Medien der Agentschaft und Agenturen der Medien, die in ihrer Verschränkung den Ansatzpunkt einer Akteur-Medien-Theorie (AMT) bilden. Da derzeit in einer Reihe von Analysen die Dreifachrolle der Medien als intermediary, mediator und device untersucht wird, schlägt der Aufsatz vor, den verfahrenstechnischen Begriff des Hilfsmediums für die AMT anzuwenden. Durch die hilfsmediale Ein-/Zuschreibung von Medien und Werkzeugen soll deutlich werden, dass man nicht vorab festlegen kann, wo man die Medien in einer Handlungsverknüpfung findet, und dass der Anteil der Medien an der Verkettung von Handlungsinitiativen nicht fixiert ist. Gleichwohl ist ein modicum der Medien notwendig.

Jedes Medium braucht ein Modicum: Zur Behelfstheorie von Akteur-Netzwerken

Gabriele Schabacher Medium Infrastruktur. Trajektorien soziotechnischer Netzwerke in der ANT

Obwohl Medien nur in bzw. als Infrastrukturen greifbar sind, geraten diese erst neuerdings in den Fokus medienwissenschaftlichen Interesses. Dabei bieten die Science and Technology Studies (STS), insbesondere die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), produktive Ansätze, um die mediale Dimension des Infrastrukturellen zu erschließen. Im Durchgang durch die Infrastruktur-Theoriegeschichte werden drei Hinsichten entfaltet, die für den Zusammenhang von Medien und Infrastruktur aufschlussreich sind: die Frage der In/Visiblität von Infrastrukturen, Probleme von Standardisierung und Metrologie sowie die spezifische Prozessualität von Infrastrukturen.

Medium Infrastruktur. Trajektorien soziotechnischer Netzwerke in der ANT

Andrea Seier Von der Intermedialität zur Intermaterialität. Akteur-Netzwerk-Theorie als ›Übersetzung‹ post-essentialistischer Medienwissenschaft

Der Beitrag diskutiert die Akteur-Netzwerk-Theorie im Kontext eines post-essentialistischen Denkens innerhalb der Medienwissenschaft. Beobachtet werden die Ähnlichkeiten und Differenzen zwischen den Modellen: Dispositiv, Gefüge und Aktanten-Netzwerk. Plädiert wird für eine Kombination der ANT mit bereits etablierten Modellen der mikropolitischen Medienanalyse, nicht für deren Ersetzung. Am Beispiel der Fernbedienung wird eine solche Kombination durchgespielt.

Von der Intermedialität zur Intermaterialität. Akteur-Netzwerk-Theorie als ›Übersetzung‹ post-essentialistischer Medienwissenschaft

André Wendler Den kinematorgafischen Akteuren folgen

Die gegenwärtige digitale visuelle Kultur hat die Filmwissenschaft in den letzten Jahren mit einer Reihe tiefgreifender Fragen konfrontiert. Das sind Fragen nach einer neuen Ontologie bewegter Bilder, dem Zuschnitt des globalen Mediensystems oder der Genealogie digitaler Medien. Der Beitrag schlägt vor, einige der in diesen Debatten aufgeworfenen Fragen mit Hilfe der Akteur-Netzwerk- Theorie (ANT) zu lösen.

Den kinematorgafischen Akteuren folgen