3. Verdichten/Streuen
(2016-2017)

Während die Operationen des Öffnens und Schließens noch in engem Zusammenhang mit der Logik des Unterscheidens stehen, werden im zweiten Untersuchungszeitraum Operationen betrachtet, die eher der Logik der Bindung und Ablösung, der Zunahme und Abnahme von Anziehungskräften gehorchen. Sie gehorchen weniger geometrischen oder topologischen Prinzipien als vielmehr statistischen Verteilungen, und sind eher als entropische Prozesse bzw. als Verlaufsformen der Reduktion von Entropie zu begreifen oder als Zustände wechselnder Intensitäten.

Zunächst werden Verdichtungsprozesse betrachtet, das heißt Übergänge von losen zu festen Kopplungen. Erneut kann dies bei Phänomenen der Textur und des Textilen ansetzen, bei der Herstellung der Bindung etwa, die die Fäden zum Gewebe überlagern lässt. Ein verwandter Untersuchungsbereich sind wiederum Bildprozesse, etwa solche, bei denen aus einer unstrukturierten, glatten Oberflächentextur durch Häufung oder Ungleichverteilung allmählich Figuren aus einem Grund heraus erstehen, wie dies z.B. bei Bildern des Wassers und anderer Oberflächen (Sand, Schnee usw.) als Ikonisierungsoperation vorkommt. Dasselbe kann für wechselnde Licht- und Klangverhältnisse und -inszenierungen gelten in Auf-, Ein- und Abblendungen und für Schärfe-/Unschärfeverlagerungen, sowie für zahlreiche Übergangsformen zwischen Transparenz und Opazität, die einen allmählichen Übergang zwischen Wahrnehmbarkeit und Unwahrnehmbarkeit bewerkstelligen. Von hier aus kann dann die Beziehung zwischen (einzelnem, isolierbarem) Objekt und umgebender Atmosphäre, zwischen Milieu und Figur, zwischen Situation und Handlung als Verdichtung beschrieben werden.

Weiter werden hier, anknüpfend an neuere Theorien der Menschenmasse, Massierungen von Individuen und andere Massierungsvorgänge untersucht, insbesondere in ihren aktuellen, stark medieninduzierten Formen (smart mobs), wie sie durch relative Instantaneität und Instabilität gekennzeichnet sind. Dabei ist die verdichtete Masse von der Verdichtungsspezifik der multitude zu unterscheiden, die, auch wenn sie eine eigene Operativität entwickelt, keine Verschmelzung zu einem einheitlichen Kollektivkörper mehr kennt (Schwarmintelligenz). Anziehungs- und Bindungskräfte, die Bindung von Aufmerksamkeit, Affizierungen und Attraktionen in all ihren Wirksamkeitsformen bis hin zu emotionalen Regimes sind weitere wichtige Themen in diesem Zusammenhang. Vorgänge der Mimikry und der Anähnelung der Objekte und Figuren an Umgebung und Grund wären schließlich der Verdichtung komplementäre Prozesse, die erneut Zwischenzustände zwischen dem Vorhandensein und dem Nichtvorhandensein erzeugen. In einer temporalen Logik schließlich ist hier die Häufung von Ereignissen z.B. in dichter werdenden Folgen zu untersuchen.

Für die Untersuchung der Bindungsoperation als einer ontologischen Operation besonders aufschlussreich ist das Übergangsobjekt: Vom Kind aus »objektiv« vorgefundenen Objekten »subjektiv« erschaffen, sind Übergangsobjekte wie Bettzipfel, Tücher oder Stoffpuppen für eine Zeitlang eine Brücke von der subjektiven zur objektiven Welt und zurück. Das Übergangsobjekt ist das erste reguläre Objekt, das »zugleich Nicht-Ich und niemals ganz Nicht-Ich ist«. Übergangsobjekte bewerkstelligen diese Brückenfunktion, weil sie Hybride aus Zeichen und Ding sind: Als materiale Dinge »bedeuten« sie nicht nur die Mutterbrust, sondern substituieren sie. Diese Struktur teilen sie mit dem Fetisch, zu dem ein Übergangsobjekt werden kann, aber nicht muss. Weil das Zeichen in diesem Fall nicht konventionell, sondern in die Materialität eingeschmolzen ist, besitzt das Übergangsobjekt magischen Wirk-Charakter.

Die Gegenbewegung zur Verdichtung ist in all dem die Dispersion, die Ausbreitung und Streuung einer Figur oder eines Objekts in den Umraum hinein, die Entdifferenzierung einer durch Abgrenzung hergestellten Form, die allmähliche Lösung einer festen Kopplung, das Nachlassen und Lockern von Bindungskräften, Attraktionen und Affizierungen. Sie kann einerseits zur Auflösung und Löschung führen, andererseits aber auch zur allmählichen Herauslösung einer zweiten Figur oder eines zweiten Objekts, das sich dann aus dem ersten ablöst und schließlich abspaltet (und von dem es dann auch nach und nach unterscheidbar wird).