Christiane Voss Ehem. Senior Fellow

Christiane Voss
Oktober 2014 - März 2015

Vita

Christiane Voss has been Professor of Audiovisual Media and Media Philosophy at Bauhaus-Universität Weimar since 2010. Having studied philosophy and linguistics at Bergische Universität Wuppertal, Freie Universität Berlin and Universität Wien, Voss received her Ph.D. in 2003 with a dissertation thesis on philosophical theories of emotions. From 2003 to 2009, she was a Lecturer and Assistant Researcher at the seminar for film studies at Freie Universität Berlin where she participated in a research group formed by Gertrud Koch (“Zur Bedeutung der medienspezifischen Illusionsbildung”). In 2009, Voss held a visiting position as Professor of Media Philosophy at the Faculty of Media in Weimar. She finished her habilitation on the aesthetics of the illusion at Goethe-Universität Frankfurt in 2010 (recently published as: “Der Leihkörper. Erkenntnis und Ästhetik der Illusion”). Voss has been a member of the university council at Bauhaus-Universität Weimar since 2013 and director of Bauhaus Research School since 2012. She is a permanent advisory board member of the Deutsche Gesellschaft für Ästhetik and a founding member of the research group “Media Philosophy” within the Gesellschaft für Medienwissenschaft (Gfm). Apart from her academic appointments, Voss has gained a remarkable reputation as a documentary filmmaker (ICH DICH AUCH, 2005 and ENDLICH, 2011). She co-wrote Tom Tykwer’s widely acclaimed debut film DIE TÖDLICHE MARIA (1993) and served as script consultant for LOLA RENNT (1998).

Dated from 2015

IKKM Forschungsprojekt

Zu affektiven Operationen der Ver- und Entstrickung: Das Kino als paradigmatisches Medium affektiver Operationen

Der thematische Schwerpunkt der interdisziplinären Erforschung am IKKM liegt im WS 2014/15 zum Einen auf der Verhältnisbestimmung diverser Typen von politischen, epistemischen, historischen, diskursiven, ästhetischen sowie technischen Operationen der Rahmungen zueinander. Rahmungen geraten dabei nach dem Vorbild bildlicher Rahmen und Rahmungen als Operationen der Hierarchisierung von Vorder- und Hintergrund, von Außen und Innen, von Zugehörig und Fremd, von Starr und Beweglich in den Blick. Zum Zweiten und kom- plementär zur separierenden Funktion von Rahmungen soll die Kraft der Vernähung, der Kopplung und Verstrickung in und von diversen Feldern mitbeleuchtet werden. Beide Grundfunktionen – Rahmungen und Vernähungen – sind nun in mehreren Hinsichten genuin ästhetische Funktionen und so auch kinematographische.

Ein auf dieses Rahmenthema bezogener Einsatzpunkt meines Forschungsprojekts, das sich im Zwischenraum von Medienanthropologie, Filmphilosophie und Ästhetik ansiedeln lässt, ist, nach der Dialektik und Kontrastierung separierender Rahmungen und verstrickender Kopplungen in Bezug auf a) spezifisch affektive Operationen zu fragen und b) diese Ope- rationen konkret am medialen Raum der Kinoerfahrung durchzubuchstabieren.

In phänomenologischer Hinsicht ist dieser Einsatz insofern naheliegend und einschlägig, als Affizierungen – d.h. (selbst-)wahrnehmbare Bewegungen und Berührungen – generell genau dies bewirken: Sie stiften selbst z.B. atmosphärische Rahmen und Räume und verbinden Unverbundenes in und durch Bewegung (e-movere) miteinander. Affizierungen sind keineswegs auf menschliche und soziale Lagen und Körper eingeschränkt. Sie übertragen, vermitteln und trennen auch zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Körpern wie etwa im Kino oder auf Konzerten. In diesen Hinsichten eignet ihnen immer schon eine mediale Funktionalität. Affizieren können sich zudem auch Techniken, Bilder, Verhaltensweisen von Dingen und Informationsstrukturen untereinander – etwa indem sie durch Anziehung/Abstoßung miteinander Ensemblestrukturen, Muster, Assemblagen, Ketten, Kontraste und/oder Verbünde konfigurieren. In der Theoretisierung solcher Misch- und Trennungsverhältnisse von menschlichen und nicht-menschlichen Affizierungen liegt die medienanthropologische Dimension des Vorhabens.

Eine medienästhetisch interessante und weiterzudenkende Form der Kopplung bzw. Vernähung, die sich exemplarisch vertiefen lässt, findet sich in der Filmtheorie. Unter dem ursprünglich aus der Psychoanalyse Lacans stammenden Begriff der Suture (deutsch. Naht) fasst diese nämlich eine Operation der Verknüpfung von Sichtbarem mit Unsichtbarem. Bezeichnet Suture bei Lacan noch die Verknüpfung von Subjekten mit der Kette symbolischer Signifikationen, so beschreibt die Metapher seit dem Filmtheoretiker Oudart die Beziehung zwischen Zuschauer und filmischer Signifikation. Eine erweiterte Sinnverschiebung erfährt der Begriff der Suture dann nochmals u.a. bei dem Filmtheoretiker Dayan oder auch bei Žižek. Hier ergänzen Rahmen- und Nahttheorien einander: Was in einer Schuss-Gegenschuss-Montage im off-screen verbleibt und dabei aber im Bewusstsein der Rezipienten imaginär ergänzt wird, sorgt de facto für eine Form der Verkopplung von Betrachter- und Filmraum. Die vermeintlichen Metaphern der Vernähung, Verknüpfung und Verstrickung auch hinsichtlich ihrer konkreten Textualitätsbezüge und damit materiellen Bedeutungsdimensionen näher zu beleuchten, mag eine Frage-Richtung sein, in der die phänomenologische Spannkraft der Sutur noch einmal anders und neu vertiefend beleuchtet werden könnte. Dafür verspricht der Austausch mit anderen Fellows im IKKM mehr als inspirierend zu werden.

An solcher Verkopplung (Suture) wird erzähltheoretisch gängigerweise die kooperative Herstellung von narrativer und logischer Kohärenz seitens eines verstehenden Rezipienten gegenüber einem lückenhaften Bildgeschehen geschätzt. Es entsteht jedoch auch noch etwas ganz anderes, so lautet meine Untersuchungshypothese, was keineswegs auf die Bestätigung und Aktualisierung latent vorgegebener Erzählstrukturen zu reduzieren wäre: Durch die verkoppelnde Bewegung der Suture emergiert ein evtl. sogar idiosynkratischer, jedenfalls ein virtueller Ort ohne Raumstelle; ein Ort nämlich, in dem paradoxerweise der ursprünglich und zugleich durch die Rahmung der Leinwand aus der Fiktion ausgeschlossene Betrachter zu einer immanenten Größe des Filmgeschehens wird. Diese Formulierung birgt eine medienanthropologische Pointe, die in dem Vorhaben detaillierter entfaltet werden soll und derzufolge der Film als eine anthropomediale Relation ausweisbar wird. Die immer schon in den technisch-medialen Bewegtbildraum der kinematographischen Fiktion eingewobene Verstrickung menschlicher Betrachteraktivitäten führt zu einer Verschiebung der ontologischen Grenzziehung zwischen organischem und technischem Körper innerhalb des emergierenden virtuellen Raum des Kinoästhetischen. Was in den meisten Suture-Theorien nicht thematisch wird, ist, dass die „Aneinandernähung“ von Filmgeschehen und Rezeption keine dominant oder ausschließlich kognitive Funktion ist. Vielmehr handelt es sich nach meiner Auffassung um eine affektive Funktion der Amalgamierung. Was das genauer heißt und was das für medienphilosophische Konsequenzen hat, gilt es zu vertiefen. Einer präziseren medienästhetischen und -anthropologischen Konturierung einer bisher theoretisch noch unterbestimmten Form der affektiven suture dienen daher einige meiner in diesem Semester zu verfolgenden Forschungen.

Da der Affektbegriff dabei eine Schlüsselstellungen einnimmt, geht es in einem Teil der Arbeit darum, die spezifischen Konzepte, Formen und Logiken affektiver Verkopplungen und Verstrickungen sowie affektiver Trennungen und Rahmungen auf ihre intrinsische Medialität und Medienbasiertheiten hin zu beleuchten. Damit zusammenhängend sind sie auch zu nicht-affektiven, etwa handlungstheoretisch zu modellierenden Operationen der Verkopplung und Trennung ins Verhältnis zu setzen.

In einem damit verbundenen Teil der Arbeit sollen die affektiven Operationen unter den genannten Gesichtspunkten (Kopplung/Trennung/Ab- und Auflösung/Amalgamierung) konkret film- und medienanthropologisch in Bezug auf ihre (da-)seinssetzenden und (da-)seinsdestruierenden Funktionen beleuchtet werden. Dass Affizierungen nicht nur ephemere Bewegungen veranlassen, auslösen und sind, sondern selbst z.T. durchaus unkontrolliert und ungewollt auch nachhaltig insofern ontologisierend wirken können, als sie z.B. verbindliche affektive Skripts für die Selbstentwürfe ganzer Kollektive ausbilden, zu denen u.a. das der romantischen Liebe zählt, macht affektive Operationen zu (auch politisch interessanten) poietischen Operationen sui generis.

Während methodisch für den theoretischen Teil der Forschung die historischen und aktuellen Affekttheorien der Philosophie, Ästhetik und der Cultural Studies ausgearbeitet und zueinander ins Verhältnis gesetzt werden (was in der Forschung generell noch Desiderat ist und mir zugleich erlaubt, auf eigene jahrelange Vorarbeiten zurückzugreifen), fungieren als weiteres Material die Filme, die in der Kino-Vorlesung aus dem WS 2013/14 an der BUW bereits unter dem Aspekt ihres Beitrags zu einer kinematographischen Anthropologie analysiert wurden. Diese Vorarbeit und eine daran anschließende und wiederum gemeinsam mit Lorenz Engell durchzuführende VL im SS 2014 zu „Agent/Affekt“ fließen direkt in die Forschungen ein, sodass das pragmatische Ziel des Forschungssemesters im IKKM ist, diese Arbeiten gemeinsam mit Lorenz Engell in Buchform zu verschriftlichen.

Publikationen

Monographien

Der Leihkörper. Erkenntnis und Ästhetik der Illusion. München: Fink 2013.
Narrative Emotionen. Eine Untersuchung über Möglichkeiten und Grenzen philosophischer Emotionstheorien. Berlin/New York: De Gruyter 2004.

Herausgaben

with Lorenz Engell, Oliver Fahle, Vinzenz Hediger: Essays zur Filmphilosophie. München: Fink forthcoming 2014.
with Lorenz Engell, Frank Hartmann: Körper des Denkens. Neue Positionen der Medienphilosophie. München: Fink 2013.
with Anke Hennig, Gertrud Koch, Georg Witte: Jetzt und dann. Zeiterfahrung in Film, Literatur und Philosophie. München: Fink 2010.
with Gertrud Koch, Martin Vöhler: Die Mimesis und ihre Künste. München: Fink 2010.
with Gertrud Koch: „Es ist, als ob“. Fiktionalität in Philosophie, Film- und Medienwissenschaft. München: Fink 2009.
with Gertrud Koch: ...kraft der Illusion. München: Fink 2006.

Artikel

“Der dionysische Schalter. Zur generischen Anthropomedialität des Humors”. In: ZMK – Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung, 1/2013, pp. 119-132.
“Das Komische der Situation – die Situation des Komischen”. In: Andreas Ziemann (ed.): Offene Ordnung? Philosophie und Soziologie der Situation. Wiesbaden: Springer 2013, pp. 229-242.
“Zur phantomhaften Aktualität eines (nie) da gewesenen Feminismus”. In: Texte zur Kunst, 84/2011, pp. 82-86.
“Auf dem Weg zu einer Medienphilosophie anthropomedialer Relationen”. In: ZMK Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung, 2/2010, pp. 170-184.
“Das Leib-Seele-Verhältnis beim Lachen und Weinen. Philosophische Anthropologie aus ästhetischer Sicht”. In: Beate Söntgen, Geraldine Spiekermann (eds.): Tränen. München: Fink 2008, pp. 171-184.
“Filmerfahrung und Illusionsbildung. Der Zuschauer als Leihkörper des Kinos”. In: ders., Gertrud Koch (eds.):...kraft der Illusion. München: Fink 2006, pp. 71-86.