Vita
Hartmut Böhme ist Professor für Kulturtheorie und Mentalitätsgeschichte an der Humboldt Universität Berlin. Er war von 2000–2002 Dekan der Philosophischen Fakultät der Humboldt Universität und Gastprofessor an verschiedenen Universitäten in den USA und Japan. Er ist an den SFBs 447 »Kulturen des Performativen« und 644 »Transformationen der Antike« beteiligt und Sprecher des letzteren. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen: Kulturgeschichte seit der Antike; Kulturtheorie; Literaturgeschichte des 18.–20. Jahrhunderts, Ethnopoesie und Autobiographik, Natur- und Technikgeschichte in den Überschneidungsfeldern von Philosophie, Kunst und Literatur, Historische Anthropologie. Er ist Mitglied zahlreicher wiss. Vereinigungen wie der Kleist- und der Goethe-Gesellschaft. Zu seinen wichtigsten Publikationen gehören Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne; Reinbek bei Hamburg 2006 und Feuer Wasser Erde Luft. Kulturgeschichte der Naturwahrnehmung in den Elementen; München 1996 (mit Gernot Böhme).
Stand: 2010
IKKM Forschungsprojekt
Transformationen der Kultur im Medium des Raumes. Geschichte der Kulturtheorien seit der Antike
In der Kulturtheorie werden Raumformen unterschieden, die auf grundlegende, gelegentlich kulturübergreifende Unterscheidungen zurückgehen: so die Unterscheidung von Natur- und Kulturräumen, von heiligen und profanen Räumen, von elementaren Sphären (vier Elemente), von Zonen (Landschafts- und Klimazonen), von zivilisierten und bebauten Regionen, von Netzwerken (des Verkehrs, des Handels, des Militärs, der Nachrichten und des Wissens, der Medien), von Rechtsräumen (Gerichtsbarkeiten, Kataster, Territorial- und Seeverträge); von Fremdheitsräumen (Wildnis, Weltall, ,barbarische' Räume) etc.
Daraus ist abzuleiten: 1. Nahezu alles, was zu einer Kultur gehört, hat eine räumliche Verfasstheit. 2. Nahezu jede Praxis hat eine spatiale Dimension, in der sie sich verkörpert und entfaltet. 3. Viele Wissensanstrengungen richten sich auf die Erfassung und Konstruktion räumlicher Ordnungen. - Ausgehend von der griechisch-römischen Antike werden an symptomatischen Schnittstellen der europäischen Kulturgeschichte jeweils diejenigen Transformationen antiker Raumpraktiken, -techniken und -epistemologien untersucht, die zu Umstellungen in der Reflexion und Theorie der Kultur geführt haben. Auf dieser Grundlage soll eine Geschichte der Kulturtheorien von der Antike bis zur Moderne des 21. Jahrhunderts erarbeitet werden.
Da Reflexion, Kritik und Theorie der Kultur nicht unabhängig vom historischen Stand der Kulturentwicklung und der Wissensformen generiert wurden, soll diese Geschichte der Kulturtheorien aus vorhandenen historischen Forschungen zu Kulturpraktiken (z.B. zum antiken Raumregime der Agrikultur) sowie aus jeweils historisch relevanten epistemischen Quellen (Mythen, Philosophien, Technik~ und Fachbücher, Literatur, Traktate) entwickelt werden. In der nachantiken Geschichte werden solche Transformationsprozesse analysiert, in denen die Raumregime oder das Raumwissen der Antike in einer historisch charakterist'lschen Weise adaptiert und umgestellt werden. Dadurch bieten sich neue Möglichkeiten für eine Geschichte und Genealogie der Kulturtheorien.
Bilderwissen
Seit zwei Jahrzehnten bewegen sich Wissenschaftsgeschichte und Kunstwissenschaft aufeinander zu. Die Wissenschaften haben die Bilder und bildgebenden Verfahren entdeckt, ohne welche die Darstellung von Wissen aussichtslos wäre. Die Kunstgeschichte hat nicht nur ihre bildanalytische Kompetenz in oft weit entlegene Wissenschaftsfelder ausgedehnt, sondern auch innerhalb ihrer angestammten Bildtypen die enge Verzahnung von Kunst und Wissenschaft entdeckt. Bilder sind Wissensmedien. Die intensive Interaktion von Artes und Scientiae war in der Frühen Neuzeit selbstverständlich. Bilder illustrierten niemals nur das Wissen, sondern generierten es auch. Untersucht werden an Beispielen des 15. Bis 17. Jahrhunderts, welch elementaren Beitrag die Bilder der Kunst für die Entwicklung der New Sciences spielten und umgekehrt wie eminent wichtig diese Wissenschaften für die Künste waren.
Publikationen
mit Christof Rapp/Wolfgang Rösler (ed.): Übersetzung und Transformation. Transformationen der Antike Bd. 1. Berlin New York 2007.
mit Yvonne Ehrenspeck (ed.): Walter Benjamin: Aura und Reflexion. Schriften zur Kunsttheorie und Ästhetik. Frankfurt am Main 2007.
Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne; Reinbek bei Hamburg 2006.
Böhme, Hartmut (ed.): Topographien der Literatur. Deutsche Literatur im transnationalen Kontext. DFG-Symposium 2004; Stuttgart 2005.
Böhme, Hartmut et. al. (ed.): Tiere. Eine andere Anthropologie. Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Bd. 3; Köln 2004.
mit Jürgen Barkhoff/Jeanne Riou (ed.): Netzwerke. Eine Kulturtechnik der Moderne; Köln 2004.
Danneberg, Lutz / Vollhardt, Friedrich / Schönert, Jörg (ed.): Wissen in Literatur im 19. Jahrhundert; Tübingen 2003.
mit Ruth Tesmar: Die Besteigung des Chimborazo. Annäherungen an Alexander von Humboldt; Berlin 2002.
with Peter Matussek/ Lothar Müller: Orientierung Kulturwissenschaft. Was sie kann, was sie will; Reinbek bei Hamburg 2000, 2. Auflage 2002, 3. Auflage. 2007.
mit Gernot Böhme: Feuer Wasser Erde Luft. Kulturgeschichte der Naturwahrnehmung in den Elementen; München 1996 (italienisch 1998; spanisch 1998).
mit Klaus Scherpe (ed.): Literatur und Kulturwissenschaft; Reinbek bei Hamburg 1996.
with Nikolaus Tiling (ed.): Medium und Maske. Die Literatur Hubert Fichtes zwischen den Kulturen; Stuttgart 1995.
mit Lutz Danneberg/ Jörg Schönert/ Friedrich Vollhardt (ed.): Vom Umgang mit Literatur und Literaturgeschichte. Positionen und Perspektiven nach der "Theoriedebatte"; Stuttgart 1992.
Albrecht Dürer: Melencolia I. Im Labyrinth der Deutung; Frankfurt/M. 1989.
Natur und Subjekt; Frankfurt am Main 1988.