Forschungsprojekt
Vertrauen in die Welt. Ein Beitrag zum Film als Philosophie
Innerhalb der pragmatistischen Tradition wird die alte Frage: ‘Was können wir wissen? Was ist überhaupt sicher? mit dem Statement beantwortet: ‘Wir müssen uns auf etwas verlassen’ (Wittgenstein, Über Gewissheit). Zurückblickend auf eine bestimmte Tradition des Skeptizismus (Hume), Existentialismus (Kierkegaard, Sarte) und der philosophischen Ontologie (Heidegger) konkretisiert sich dieses Statement in der Form: ‚Wir müssen in unsere Praktiken vertrauen, moralische Ideen, die Präsenz oder das ‚nackte Dass’ der Dinge, den verborgenen Gott.’ Während der vergangenen dreißig Jahre hat sich der Philosophie etwas überraschend ein neuer Alliierter zur Beantwortung dieser Frage zur Seite gesellt. Der Film, eines der populärsten Medien des 20. Jahrhunderts, scheint nämlich, formal und inhaltlich, vergleichbare Probleme zu thematisieren. So besteht die Verbindung zwischen Philosophie und Film für Stanley Cavell im ‚Gewöhnlichen’, für Gilles Deleuze, geprägt von Henri Bergson, in Zeit und Bewegung. Aber eine solche Verbindung wird auf unterschiedliche Weise auch innerhalb der analytischen Philosophie diskutiert. Die allgemeinen Fragen meines Forschungsvorhabens lauten demgemäß: In welchem Sinn kann man sagen, dass der Film, vor allem der moderne, nicht-narrative Film, unser Vertrauen oder unseren Glauben in die Welt wieder herstellt? Was bedeutet es, noch allgemeiner, zu sagen, dass der Film (eine Art von) Philosophie ist? Während ein großer Teil der Diskussionen der letzten dreißig Jahre innerhalb der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften unter dem Label des Postmodernismus Konzepte des radikalen Zweifels handhabt bezüglich der Realität, des Wissens, des moralischen Universalismus und subjektiver sowie politischer Handlungsfähigkeit, schlägt mein Forschungsvorhaben eine Neuperspektivierung des Konzepts des Vertrauens vor dem Hintergrund des kulturellen Mediums Kino vor. Gegenwärtig hat dieses Konzept wieder Konjunktur im sozialen, politischen und ökonomischen Kontext. Allenthalben wird der Vertrauensverlust in die Politik, die Bindekräfte komplexer Gesellschaften und den neoliberalen, marktradikalen Kapitalismus beklagt. Aber die Bedeutsamkeit dieses Konzepts ist viel größer. Vertrauen ist unverzichtbar im epistemologischen und metaphysischen (ontologischen) Sinn. Es bildet eine conditio sine qua non: Niemand kann ohne Vertrauen leben, und es gibt keine Kultur, keine Lebensform, die ohne Vertrauen funktionieren würde. Interessant ist dies vor allem unter modernen Bedingungen. Vertrauen muss man als Kompensation fehlender Information, nicht (so sehr) fehlender Macht begreifen. Die ‚modernen Bedingungen’ herauszustellen, heißt nicht nur, auf die gegenwärtige Soziologie zu rekurrieren (auf A. Giddens, N. Luhmann und J. Habermas), sondern auch auf das moderne Kino, das mit dem italienischen Neorealismus der 1940er Jahre beginnt, von der Nouvelle Vague in den 1950er Jahren fortgesetzt wird und heutzutage vom nicht-narrativen Hollywood-Kino getragen wird. Um für die These von der fundamentalen Funktion des Vertrauens zu argumentieren, kann man sich philosophisch also auf die pragmatistische und phänomenologisch-ontologische Tradition beziehen, aber eine innovative Wendung erhält das Ganze erst, indem man diese Tradition mit Analysen kontrastiert und bereichert, die sich auf Filme beziehen, die mit unserem modernen Informationsmangel spielen.