Vita
Mario Carpo ist Professor am Georgia Institute of Technology und Gastprofessor für Architekturgeschichte an der Yale University. Carpo promovierte 1983 in Architekturgeschichte an der Universität Florenz. Er war Juniorprofessor für Geschichte und Architekturgeschichte der Renaissance an der Universität Genf und war an der École d’Architecture de Saint-Etienne sowie der École Nationale Supérieure d’Architecture de Paris - La Villette tätig. Als Gastprofessor war er an verschiedenen europäischen und amerikanischen Universitäten, unteranderem der Cornell University, dem MIT und der Universität von Koppenhagen. Carpo war außerdem Research Fellow am Clark Art Institute und am Getty Research Institute (2000-2001). Von 2002 bis 2004 leitete er das Canadian Centre for Architecture (CCA)
Stand: 2011
Forschungsschwerpunkte
Architekturgeschichte und Architekturtheorie; Mediengeschichte und Informationstechnik; Kulturgeschichte; Kunstgeschichte und Technik
IKKM Forschungsprojekt
Ergänzend zur unlängst erfolgten Publikation meines Essays „The Alphabet and the Algorithm“ (Das Alphabet und der Algorithmus: MIT Press, 2011), einer interpretativen Geschichte des digitalen Wandels in Architektur und Design zwischen den frühen 1990er Jahren und dem Jahresende 2009 – dem Zeitpunkt der Drucklegung dieses Werkes –, möchte ich nun näher auf einige theoretische und kritische Fragen eingehen, die in einem engeren Zusammenhang zur aktuellen (2011) Debatte um die Digitalität in der Architektur stehen und meine Schlussfolgerungen aus dem Buch teils unterstützen, teils in Frage stellen.
Durch den technischen Fortschritt nehmen Einsatzbereich und Effektivität digitaler Werkzeuge in Design und Produktion stetig zu. Doch scheint die Theorie des digitalen Designs die meisten aktuellen Entwicklungen vorhergesehen zu haben und so könnte man argumentieren, die Zeit der theoretischen Begeisterung sei bereits vorüber – lediglich die technische Umsetzung werde noch weitergeführt und könnte weitere Entdeckungen ermöglichen. Seit den frühen 1990er Jahren ist viel zur Digitalität in der Architektur gesagt und noch mehr prophezeit worden. Viele dieser Prognosen sind wahr geworden oder werden gerade wahr. Gibt es noch mehr dazu zu sagen? Haben Denker und Visionäre dem Feld bereits den Rücken gekehrt und es den Buchmachern und Bürokraten oder einer neuen Generation ausgelaugter Imitatoren und digitaler Manieristen überlassen?
Diese pessimistische Betrachtungsweise wird durch die neueste Entwicklung des digitalen Wandels hin zum partizipatorischen Design Lügen gestraft. Die digital gestützte Interaktivität mit offenem Ausgang wurde in mancherlei Hinsicht von postmodernen Denkern, Volkswirtschaftlern und Marketingstrategen vorhergesagt und seit Mitte der 1990er Jahre haben einige der Pioniere der ersten digitalen Wende auch bereits umfassend damit experimentiert und kreative wie theoretische Grenzen ausgeforscht. In ihren jüngeren technologischen Avataren wurde die digitale Interaktivität vom Baugewerbe begeistert aufgenommen, heute jedoch empfinden sie viele Architekten und Designer als zunehmend problematisch, wenn nicht gar untragbar. Seit ihren frühneuzeitlichen Anfängen basierte die architektonische Gestaltung auf der umfassenden urheberischen Kontrolle des Architekten über die Gestaltung der Form und seinem intellektuellen Eigentumsrecht an allen Endprodukten des gestalterischen Prozesses. Digitaler Parametrismus, neuere Entwicklungen im Building Information Modeling sowie die zunehmende Nutzung quelloffener, individualisierbarer Softwarelösungen sind dieser frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Entwicklung entschieden gegenläufig und digitale Werkzeuge stellen Architekten immer stärker vor die Herausforderung, sich mit neuen und scheinbar ungetesteten Modellen der hybriden oder partizipativen Urheberschaft auseinanderzusetzen. Sind diese Modelle wirklich ungetestet? Und sollte tatsächlich die moderne Urheberschaft auf dem Spiel stehen, ist dies eine Bedrohung oder Chance für die gestaltenden Berufe? In welchem Maße würden solche neuen, post-urheberischen Tätigkeitsformen gängige oder gangbare Optionen für eine neue, postindustrielle und postmoderne Gesellschaft darstellen?
Diese fundamentalen Themen, die zugleich die Zukunft der Digitalität in der Formung und Gestaltung unserer physischen Umwelt in Frage stellen, bringen eine Reihe verwandter stilistischer Fragen mit sich: Ist die Kurvilinearität ein zufälliger oder wesentlicher Aspekt der digitalen Gestaltung und Herstellung? Gibt es einen nicht-kurvilinearen oder sogar minimalistischen digitalen Stil? Und wieso wird die digitale Produktion überhaupt so häufig mit der Kurvilinearität in Zusammenhang gebracht? In wieweit gelten die modernen Vorstellungen von Präzision und Notationalität in einer vollkommen digitalisierten Gestaltungs- und Produktionskette noch? Und zuletzt, gibt es eine Produktionsform, die, ob technisch oder symbolisch, am besten die Natur des digitalen Zeitalters repräsentiert und ausdrückt?
Publikationen
mit Francesco Furlan: Leon Battista Alberti's Delineation of the City of Rome. Arizona Center for Medieval and Renaissance 2007.
mit Frédérique Lemerle (eds.): Perspective, Projection and Design. Technologies of architectural representation. London and New York: Routledge 2007.
"Le Media Lab d'Alberti." In: Mario Carpo and Frédérique Lemerle-Pauwels (eds.): Perspective, projections, projet. Technologies de la representation architecturale. Paris: Centre des monuments nationaux et Éditions du patrimoine 2005, p. 39-49.
"Pattern Recognition." In: Kurt W. (ed.): Metamorph. Catalogue of the 9th International Biennale d'Architettura,Venice 2004; vol.III. Venice and New York: Marsilio and Rizzoli International 2004, p. 44-58.
"Drawing with Numbers: Geometry and Numeracy in Early Modern Architectural Design". In: The Journal of the Society of Architectural Historians 62/4 (2003), p. 448-469.
Architecture in the Age of Printing. Orality, Writing, Typography, and Printed Images in the History of Architectural Theory. Cambridge, MA: MIT Press 2001.
La maschera e il modello. Teoria architettonica ed evangelismo nell'Extraordinario Libro di Sebastiano Serlio (1551). Milano: Jaca Book 1993.
Metodo e ordini nella teoria architettonica dei primi moderni: Alberti, Raffaello, Serlio e Camillo. Genève: Droz 1993.