Vita
Peter Skafish arbeitet an der Schnittstelle zwischen Anthropologie und Philosophie an der Frage, was Denken in und außerhalb der Moderne ist. Skafish hat in soziokultureller Anthropologie an der University of California, Berkeley promoviert und ist Gründer und Leiter des Forschungszentrum The Institute of Speculative and Critical Inquiry. Er war Maître de conférences associé am Collège de France; Andrew W. Mellon Postdoctoral Fellow am Department of Anthropology der McGill University; Fondation Fyssen Postdoctoral Fellow am Laboratoire d‘Anthropologie Sociale und am Collège de France; und Gastdozent an der University of California, Berkeley. Neben der Einleitung zur englischen Übersetzung von Claude Lévi-Strauss De Montaigne à Montaigne und der Mitherausgabe des Buches Comparative Metaphysics: Ontology After Anthropology, hat er Essays in Zeitschriften wie Angelaki, Common Knowledge und Cultural Anthropology veröffentlicht. Zu seinen Übersetzungen zählen The Heidegger Change von Catherine Malabou und Cannibal Metaphysics von Eduardo Viveiros de Castros, für deren Bücher er auch die Einleitung verfasst hat. Zugleich ist er Herausgeber der Zeitschrift des ISCI – The Otherwise, die im Januar 2020 zum ersten Mal erscheint. Derzeit arbeitet er an der Veröffentlichung seines aktuellen Buches Rough Metaphysics: Speculative Thought in an American Channel. An Anthropology of Concepts.
Stand: 2019
Forschungsfelder
Anthropologische Ontologie, Kosmopolitik, Religion und Säkularismus, Außenseiterdenken, Planetarität, Übersetzung.
IKKM Forschungsprojekt
Variationen des Denkens, Äquivokationen des Körpers
Der nächste Schritt in der ontologischen und kosmopolitischen Anthropologie besteht darin, nicht nur zu zeigen, dass Variationen des Denkens mit dem Denken der Moderne unvereinbar sein können, sondern auch, dass es Wesen und sogar Formen des Seins geben könnte, die über die von der Moderne anerkannten hinausgehen. In einem Teil eines Manuskripts mit dem Titel The Interpretation of Equivocations, an dem ich während meiner Zeit am IKKM schreibe, entwickle ich ein Argument dafür, warum und wie es ontische und ontologische Variabilität geben kann, indem ich Äquivokationen untersuche, die Entitäten betreffen, die als rein symbolisch und damit letztlich für die Wissenschaften sowie die Medien, über die diese Entitäten zugänglich sind, als unwirklich gelten.
Diesen Ansatz verfolge ich, indem ich zunächst ‚Äquivokationen des Körpers‘ untersuche, insbesondere solche, die im modernen Denken aus Konzepten der chinesischen Medizin wie qi, ‚Energie‘ und ‚mo‘ oder ‚Puls‘ hervorgegangen sind. Solche Konzepte sind von großem Interesse, weil es schwierig ist, sie als symbolische und damit letztlich fehlerhafte kulturelle Repräsentationen einer menschlichen physischen Anatomie zu konstruieren, wie es soziokulturelle Anthropologen und andere für die meiste Zeit des 20. Jahrhundert taten, und die am besten durch die moderne Biomedizin bekannt geworden sind: Chinesische Ärzte und andere, wie z. B. Qi-Gong-Praktizierende, haben gelernt, verfeinerte Techniken zur Berührung und Beeinflussung der Referenten dieser Signifikanten zu entwickeln und sind sogar in der Lage, eine nachweisliche heilende Wirkung auf bestimmte, von der Biomedizin anerkannte Krankheiten zu erzielen. Sollte die Existenz dieser Referenten/Entitäten eingeräumt werden, dann kann es sehr wohl andere Seinsschichten geben als das des von den Wissenschaften anerkannten physikalischen Universums, und sie würden wahrscheinlich weniger durch menschliche Praktiken geformt, sondern mit ihnen verbunden sein.
Gleichzeitig wirft diese Möglichkeit die Frage auf, wie außermoderne, nicht okzidentale Techniken – insbesondere wenn sie so „unwissenschaftlich“ sind – als Zugangsmedien zu diesen Schichten funktionieren könnten. Die Antwort liegt, so argumentiere ich, in der Art und Weise, wie solche Techniken tatsächlich echte „Technologien“ sein könnten, indem sie (a) Formen der verkörperten und nicht der prothetischen Aesthese kultivieren, die diffuse, subtile und oft taktile Wahrnehmungen im Vordergrund haben, anstatt ihre schärferen Gegenstücke zu fokussieren und zu verstärken; (b) in den Entitäten wahrgenommene Kausalprozesse bewirken, die ganzheitlicher und resonanter sind anstatt effizient und teleologisch. Mein Ausgangspunkt ist hier ein kanonisches Stück Sozialtheorie, Marcel Mauss „Techniken des Körpers“, welches das paradigmatische moderne Argument vorgibt, dass die Kunst des Körpers entsprechende Formen von Habitus hervorbringt. Da Mauss den Körper oft in erster Linie in mechanistischer Hinsicht begreift und daher die Wahrnehmungs- und Kausalitätsweisen bei der Arbeit in einigen der Techniken, wie z. B. dem Qi Gong, im Mittelpunkt seiner Analyse nicht zu schätzen weiß, überprüfe ich diese Techniken, um zu zeigen, dass ihre erfolgreiche Praxis davon abhängt, Prozesse wahrzunehmen und dann kausal zu verstärken, z. B. den Fluss des Qi mit dem Atem, was wiederum den Einzelnen zum besseren Fühlen und Eingehen in dieselben Prozesse befähigt und dadurch seine Fähigkeiten in Künsten anderer Art (ästhetisch, intellektuell, ethisch, etc.) erhöht. Dass der Körper auf diese Weise nicht nur das Objekt, sondern auch das Instrument der Wahrnehmung und Kausalität solcher Techniken ist, gibt eine erste, unerwartete Antwort auf meine Frage: Bei rekursiver Selbstbegrenzung sind die Körper selbst die Vermittlungsfaktoren zwischen menschlichem Denken und dem anderen, außermodernen Seinsweisen und möglichen Seinsschichten.
Natürlich steht die obige Denkweise genau im Widerspruch zu den verschiedenen realistischen Philosophien, die die Geisteswissenschaften heute bevorzugen, vom spekulativen Realismus über den neuen Materialismus bis zur Neurophilosophie. Deshalb arbeite ich an den Anfängen eines metaphysischen Rahmens, der vorläufig die Existenz von Seinsweisen erklären könnte, die mit denen der Moderne unvereinbar sind.
Ausgewählte Publikationen
“Structuralist Relativism for The Changes of the Cosmos,” introduction to Claude Lévi-Strauss, From Montaigne to Montaigne (The University of Minnesota Press, 2019).
Editor, with Pierre Charbonnier and Gildas Salmon, Comparative Metaphysics: Ontology After Anthropology (Rowman and Littlefield, 2016).
“Introduction,” to Eduardo Viveiros de Castro, Cannibal Metaphysics (Univocal, 2014).