Vita
Wolf D. Kittler, born 1945, is a widely acclaimed literary scholar and Professor of Germanic, Slavic and Semitic Studies at the University of California, Santa Barbara. After studying German and Romance languages and literatures in Freiburg and Toulouse, Kittler gained his Ph.D. at Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in 1979. Having finished his ha-bilitation, “Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie. Heinrich von Kleist und die Strategie der Befreiungskriege”, he was appointed Professor at Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in 1986. From 1988 to 1990, Kittler held a chair at Ludwig-Maximilians-Universität München. He relocated to the University of California in 1990, where he has been a Professor ever since. Kittler was a Visiting Scholar at Cornell University from 2004 to 2006 and he cur-rently serves as Visiting Professor at Deutsches Seminar at Universität Basel. Kittler has published numerous relevant articles on occidental literature and on the history of science and media. His current book project, which will be published in Merve Verlag under the title of “Echos Wiederhall. Von Freud zu Lacan”, is based on the question why the theory of psychoanalysis highly concentrates on Ovid’s Narcissus, while Echo remains unnamed and unmentioned.
Stand: 2014
Forschungsgebiete
Western literature from Greek antiquity to the present; philosophy; history of media and sci-ence.
IKKM Forschungsprojekt
Das Echo von Echo
Das Projekt basiert auf einer einfachen Frage: Warum konzentriert sich die Psychoanalyse – nicht nur die Freuds, sondern auch Lacans Version – so ausschließlich auf Narziss, dass Echo, die seit Ovids Metamorphosen, da sie ihn nie erreicht, seine untrennbare Begleiterin bleibt, komplett in Vergessenheit geraten ist? Die kurze Antwort auf die Frage ist: Echo ist der blinde Fleck der Psychoanalyse, weil es die Aufgabe des/der AnalytikerIn ist, zu wiederholen, was der/die AnalysandIn sagt, genau wie Echo einst die Worte des Narziss wiederhallte: wortgetreu, jedoch verkürzt um einige entscheidende Signifikanten.
Der lange Weg zu dieser Antwort ist mein Projekt. Er durchwandert die Idee der Liebe in Platons Phaidros bis zum doppelten Mythos von Echo und Narziss in Ovids Metamorphosen, hin zu einer vollkommenen anderen Geschichte der Nymphe Echo in Longus Schäferroman Daphne und Chloe, von dort zu den spiegelnden und echoenden Maschinen von Athanasius Kircher, über die psychologischen und psychiatrischen Diskurse der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, bis zu den Theorien über Sprache und kindliche Entwicklung, die in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt wurden, bis zuletzt zur Geschichte der Psychoanalyse.
Somit kehrt Echo in zwei verschiedenen Formen zurück, nach Longus als hysterisch und – in einen Mann verwandelt – nach Ovid als obsessiv, während Narziss das Symptom repräsentiert, das nicht durch die Gesprächstherapie geheilt werden kann, die die Psychoanalyse von Echo gestohlen hat. Ihr Name bleibt unausgesprochen, weil sie ein blinder Fleck ist, während Narziss der unerreichbare, verschwindende Punkt fern am Horizont ist. Die Parameter des Projektes stehen fest. Was fehlt ist die kulturelle und die medientechnische Geschichte von Echo und Narziss in der Malerei und Musik. Ich hoffe, diese Lakunen während meiner Zeit am IKKM füllen zu können.
Publikationen
Monographien
Die Geburt des Partisanen aus dem Geist der Poesie: Heinrich von Kleist und die Stra-tegie der Befreiungskriege. Freiburg: Rombach 1987.
Der Turmbau zu Babel und das Schweigen der Sirenen: Über das Reden, das Schwei-gen, die Stimme und die Schrift in vier Texten von Franz Kafka. Erlangen: Palm & Enke 1985.
Herausgaben
with Hans Gerd Koch, Gerhard Neumann: Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten, Kritische Kafka-Ausgabe in zwei Bänden. Frankfurt: Fischer 1996.
with Gerhard Neumann: Franz Kafka: Schriftverkehr, Freiburg: Rombach 1990.
Artikel
“Bombenpost”. In: Dieter Sevin, Christoph Zeller (eds.): Heinrich von Kleist: Style and Concept. Explorations of Literary Distance. Berlin/ Boston: Walter de Gruyter 2013, pp. 81-100.
“Das orphische Lied von der Erde: La dernière mode, Mallarmés Traum”. In: Ästhetik und Kommunikation, 43/158, 2013, pp. 81-93.
“Falling after the fall: the analysis of the infinite in Kleist’s Marionette Theater”. In: Bernd Fischer, Rim Mehigan (eds.): Heinrich von Kleist and Modernity. Rochester, NY: Camden House 2011, pp. 279-194.
“Dead Beat Father. Zu Kafkas Roman Der Verschollene”. In: Friedrich Balke, Joseph Vogl, Benno Wagner (eds.): Für Alle und Keinen. Lektüre, Schrift und Leben bei Nietzsche und Kafka. Berlin/ Zürich: diaphanes 2008, pp. 161-175.
“Aphrodite gegen Ammon-Ra. Buchstaben im Garten des Adonis, nicht in Derridas Apotheke”. In: Lorenz Engell, Bernhard Siegert, Joseph Vogl (eds.): Stadt, Land, Fluss. Medienlandschaften (=Archiv für Mediengeschichte, 7). Weimar: Verlag der Bauhaus-Universität 2007, pp. 193-211.
“Der Zustand des Romans im Zeitalter der Zustandsgleichung. Über die kinetische Gastheorie in Robert Musils ‘Der Mann ohne Eigenschaften’”. In: Bernhard Dotzler, Sigrid Weigel (eds.): fülle der combination. Literaturforschung und Wissenschaftsge-schichte. München: Wilhelm Fink 2005, pp. 189-215.
„Die Verwaltung der Buchstaben“. In: Sven Spieker (ed.): Bürokratische Leidenschaf-ten. Kultur- und Mediengeschichte im Archiv. Berlin: Kadmos 2004, pp. 29-44.
“Thalatta thalatta. Stéphane Mallarmé: ‘Brise marine.’ Übersetzung und Kommentar”. In: Peter Berz, Annette Bitsch, Bernhard Siegert (eds.): FAKtisch. Festschrift für Friedrich Kittler zum 60. Geburtstag. München: Wilhelm Fink, 2003, pp. 245-252.