Vita
Wolfgang Struck, born 1959, is Professor of Neuere deutsche Literaturwissenschaft at the Universität Erfurt since October 2005. From 1978 to 1990, he studied physics, philosophy, modern German literature and Medieval studies at Christian-Albrechts-Universität Kiel and Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Struck worked as a freelancer for Suhrkamp-Verlag (1984-1989), then as a research assistant at the Deutsches Seminar of Georg-August-Universität Göttingen (1990-1991). From 1991 to 1994, he held a scholarship within the doc-torate program “Theorie der Literatur” at Universität Konstanz and finished his dissertation (cf. bibliography) at Universität Tübingen in 1995. Working as an assistant lecturer at the In-stitut für Neuere deutsche Literatur und Medien in Kiel, Struck wrote his habilitation, “Die Eroberung der Phantasie: Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik”, which he finished in 2001. Wolfgang Struck was a Visiting Professor at the German Department of the University of Virginia (1999-2000) and at the Department of Germanics, University of Washington (2011). As the director of the DFG-project “Aus der Welt gefallen: Berichte über ‚Märtyrer deutscher Wissenschaft’ in Petermanns Geographischen Mitteilungen (1855-1878)”, Struck currently addresses issues of cartography, geography and hydrography in late 19th century Germany.
Stand: 2014
Forschungsschwerpunkte
Modern German literature; film and television history; representation of history in visual media; relation between the documentary and fiction.
IKKM Forschungsprojekt
Flaschenpost. Eine Erinnerung an das Meer
Eine Flaschenpost ist nach Georg Neumayer, der 1872 zum ersten Hydrographen der deutschen Seebehörde wurde und einen Großteil seiner wissenschaftlichen Karriere damit verbrachte, solche Nachrichten zu versenden, ausfindig zu machen und zu sammeln, eines der wertvollsten Werkzeuge der wissenschaftlichen Erforschung der Meere. Zugleich gibt Neumayer zu, dass die Flaschenpost, lange bevor er sein Forschungsprogramm begann, aus anderen nicht-wissenschaftlichen Gründen genutzt wurde: eine Flasche mag die letzte Nachricht der Besatzung eines sinkenden Schiffes oder den Hilferuf einer auf einer fernen Insel gestrandeten Person enthalten. Jedoch treiben zwischen den Strömungen, die zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden sind, nicht nur eine Menge Legenden, Anekdoten und Mythen. Es gibt auch Nachrichten von den Toten oder von jenen, die aus der Welt herausgefallen sind. Und sie alle verbinden einander völlig Fremde: einen Sender, der nicht wissen kann, wen er adressiert und einen Empfänger, der niemals der Adressierte sein kann. Demnach kann die Flaschenpost sowohl auf die Homogenität und die Kontinuität eines physischen Raums verweisen, in dem Bewegung gemessen und berechnet werden kann, als auch auf die Diskontinuitäten, die innerhalb dieses Raums erlebt werden – Träume, Fantasien, ehrgeizige Pläne, die gescheitert sind, weil ein Riff oder ein Eisberg übersehen wurden. Im 19. Jahrhundert ist das Meer immer noch ein Ort der Störungen, Zwischenfälle und Unfälle (und natürlich wird die Hydrodynamik zu jenem Feld werden, in dem die Vorstellung der klassischen Mechanik schließlich scheitern wird). Aus meiner Sicht liegt die epistemologische Bedeutung von Neumayers Flaschenpost-Nachrichten in seiner Kenntnis eines älteren Wissens über das Meer, das in einer ganzen Reihe verschiedener Geschichten etabliert wurde und nicht so leicht aus den neuen Wissenschaften der Erde gelöscht werden kann. Ein bedeutender Ort, an dem die Spannung zwischen verschiedenen Zeitlichkeiten des Wissens inszeniert wird, ist die Literatur – im gleichen Jahr, als Neumayer zum Hydrographen der Seebehörde ernannt wurde, wurden zwei literarische Texte geschrieben, die die Dimension maritimer Fantasien erforschen: Jules Vernes Roman Une ville flottante und Arthur Rimbauds Gedicht Le bateau ivre. Beide jedoch, die optimistische Vision eines Meeres als Medium der Globalisierung und die tiefgehende Fantasie von Zerstörung und Verwüstung, erschienen in Frankreich. In Deutschland sind entsprechende literarische Texte nicht so leicht zu finden, zumindest nicht innerhalb des Kanons – wenn man die riesige Anzahl an Texten, welche die neue Marineflotte des wilhelminischen Kaiserreichs verherrlichen, außer Acht lässt. Erst am Ende dieser Epoche erscheinen einige Texte, die eine Vision des Meeres nachzuzeichnen versuchen, welche nicht vollständig durch die imperialistische Ideologie besetzt ist. Dies ist am deutlichsten in den frühen Arbeiten Bertolt Brechts der Fall. Auch hier taucht die Flaschenpost auf, als poetologische sowie epistemologische Metapher: als eine Erinnerung an das Meer, die nicht in eine kontinuierliche Linie – einer Geschichte sowie einer Strömung – eingeschrieben werden kann, sondern durch Strudel, Störungen und Verdrängungen gekennzeichnet ist.
Publikationen
Monographien
Die Eroberung der Phantasie: Kolonialismus, Literatur und Film zwischen deutschem Kaiserreich und Weimarer Republik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht uni-press 2010. with Welf Kienast: Körpereinsatz: Das Kino der Kathryn Bigelow. Marburg: Schüren 1999. Konfigurationen der Vergangenheit: Deutsche Geschichtsdramen im Zeitalter der Res-tauration. Tübingen: Max Niemeyer 1997 (doctoral thesis).
Herausgaben und Mitherausgaben
with Hansjörg Bay: Literarische Entdeckungsreisen: Vorfahren – Nachfahrten – Revisionen. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2012. with Bettina Menke: Wieland/Übersetzen: Sprache, Gattungen, Räume. Berlin/New York: De Gruyter 2010.
Artikel
“Forschungsreise – Exploration of a Genre”. In: Hansjörg Bay and ders. (eds.): Lit-erarische Entdeckungsreisen: Vorfahren – Nachfahrten – Revisionen. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2012, pp. 15-26. “Ingenjör Andrées luftfärd oder Die melancholischen Entdeckungen des Films”. In: Literarische Entdeckungsreisen, pp. 29-52. “Über die wirbelreichen Tiefen des Meeres. Momentaufnahmen einer literarischen Hy-drographie”. In: Steffen Siegel and Petra Weigel (eds.): Die Werkstatt des Kartogra-phen: Materialien und Praktiken visueller Welterzeugung. München: Wilhelm Fink 2011, pp. 123-142. “The persistence of (colonial) fantasies”. In: Michael Perraudin and Jürgen Zimmerer (eds.): German Colonialism and National Identity. London/New York: Routledge 2010, pp. 234-231. “Reenacting colonialism: Germany and Its Former Colonies in Recent TV Produc-tions”. In: Volker Langbehn (ed.): German Colonialism, Visual Culture, and Modern Memory. New York: Routledge 2010, pp. 260-277. “‘Persien in Persien suchen und nicht finden’: Adam Olearius und Paul Fleming auf der Reise nach Isfahan”. In: Alexander Honold and Christoph Hamann (eds.): Ins Fremde schreiben: Gegenwartsliteratur auf den Spuren historischer und phantastischer Entdeckungsreisen. Göttingen: Wallstein 2009, pp. 23-41. “Dokument/Symbol/Film. Der ruhige und kalte Weg des Beobachtens”. In: Frauke Berndt and Christoph Brecht (eds.): Aktualität des Symbols. Freiburg: Rombach 2005 pp. 115-131.