Archiv für Mediengeschichte 17: »Medien der Finanz«
Die 17. Ausgabe des Archivs für Mediengeschichte widmet sich der Funktion von Medien in der Entstehung und Etablierung moderner Finanzwirtschaft. Ausgangspunkt der Fragestellung ist der flagrante Sachverhalt, dass symbolische und technische Medien in enger Interaktion mit Institutionen, Kulturtechniken und administrativen Prozeduren nicht nur die Monetarisierung neuzeitlicher Wirtschaftsräume bestimmten, sondern vor allem die Ausbreitung und Innovationsschübe finanzkapitalistischer Wirtschaftsweisen diktierten. Von frühen Kreditinstrumenten über die Einrichtung von regelmäßigen Messen für den Kapitalhandel seit der Renaissance bis zur Hegemonie gegenwärtiger und global operierender Finanzindustrien reicht ein Spektrum von Schauplätzen, auf denen sich das Verhältnis von Geschäftspraktiken, Kapitalverkehr, Bereicherungsstrategien und Wirtschaftsmacht unter unterschiedlichen rechtlichen, institutionellen und medialen Bedingungen jeweils neu formiert.
Neben prominenten und exemplarischen (medien-)historischen Szenarien sollten in den erbetenen Beiträgen vor allen folgende Fragestellungen in den Mittelpunkt rücken.
So soll es erstens natürlich um die verschiedenen Varianten von Geldmedien gehen, die eine Voraussetzung für die Organisation ökonomischer Zirkulationssphären und insbesondere für die Prägung finanzökonomischer Operationen und Verkehrsformen darstellten. Dabei geht es nicht nur um die Funktion von Kredit- und Giralgeld in ökonomischen Austauschprozessen, um die Formierung und die Aktionsweisen von Staatschulden, öffentlichem Kredit und Banknoten, sondern auch um medientechnische Erfindungen wie bitcoins oder die diversen Spielarten von Potentialgeld und Geldsurrogaten, die – bis hin zu jüngsten Verbriefungen und Derivaten – einen wesentlichen Anteil an Geldschöpfung und Liquiditätsbeschaffung übernehmen.
Zweitens sind diese Geldformen sowie geld- und finanzwirtschaftliche Transaktionen überhaupt an medientechnische Bedingungen geknüpft, die deren Implementierung in Wirtschaftssysteme vollziehen und vor allem die räumliche und zeitliche Organisation von Finanzmärkten strukturieren. Schon mit der Entstehung des Pressewesens, spätestens aber seit dem neunzehnten Jahrhundert, seit der Einführung von Telegraphie und Börsenticker in den Handelsverkehr ist damit die Ausbildung eigener ‚Zeitwelten’ verbunden, die schließlich mit den Verarbeitungsgeschwindigkeiten in den digitalen Informationsmaschinen gegenwärtiger Finanzmärkte autonom gegenüber räumlichen und lokalen Bindungen geworden sind.
In engem Zusammenhang mit Medientechnologien wird drittens auch die finanzökonomische Rolle von Kulturtechniken und konkreten Geschäftspraktiken definiert. Dazu gehören bereits die Einführung arabischer Ziffern (samt der Null) und die Konventionalisierung von Rechnungswesen, Buch- und Kontoführung in oberitalienischen Handelsstädten seit dem Spätmittelalter; und mit der Entstehung von Messen, festen Handelsplätzen und Börsen übernehmen Verfahren wie der Terminhandel sowie spekulative Praktiken überhaupt eine dominante Rolle in der Verstetigung finanzökonomischer Operationen. Einerseits hat der Handel mit Kredit, Schulden, Anleihen und Aktien zum take off dominanter Finanzplätze und Akkumulationsregimes geführt, die von Oberitalien über die Niederlande und London bis zur Wallstreet und die jüngsten asiatischen Finanzzentren reichen. Andererseits schuf die Einführung von e-commerce, Kreditkartenwesen und digitalem Geld eine der Voraussetzungen für die Finanzialisierung der Weltwirtschaft, und gerade die Einrichtung automatisierter Handelsplattformen ermöglichte die jüngsten und rabiaten Geschäftsmodelle – bis hin zum high frequency trading.
Ein vierter Aspekt betrifft die enge Verflechtung von Geldsystemen und Institutionen im Zeichen der Finanzökonomie. Das betrifft zunächst den Umbau von Fiskus und fürstlichen Kassen zu den Budgetverwaltungen des modernen Finanzstaates samt Steuerwesen und Geldmonopol. Vor allem aber treten dabei Agenten und Agenturen auf den Plan, die eine wesentliche Rolle in der Installierung des Finanzregimes übernehmen und von den frühneuzeitlichen merchant bankers über private Financiers, Geldhäuser und Geschäftsbanken bis zu Zentral- und Notenbanken oder internationalen Organisationen wie Weltbank oder Internationaler Währungsfonds reichen. Gerade dadurch, dass Medientechnologien für die enge Vernetzung von öffentlichen Institutionen, Privatunternehmen, internationalen Vertragswerken und Geschäftspraktiken sorgen, haben sie wesentlichen Anteil an der gouvernementalen Wirksamkeit des modernen Finanzregimes.
Schließlich – und fünftens – soll auch nach der Verhandlung medialer und medientheoretischer Sachverhalte in der Geschichte ökonomischer Dogmatik, in unterschiedlichen Spielarten der Wirtschaftstheorie und finanzökonomischer Modellbildung gefragt werden. Im Fokus stehen dabei weniger kanonische Geldtheorien samt ihrer ideologischen und wirtschaftspolitischen Resonanzen. Das Augenmerk soll vielmehr darauf gelenkt werden, ob und wie prominente Paradigmen aus der Geschichte der Finanzwissenschaft – vom Kameralismus über Nationalökonomie bis zur efficient market hypothesis, unter Einschluss kapitalismuskritischer Positionen – die Verhältnisse zwischen Medien, Finanzmärkte und Finanzkapital reflektieren. Dies schließt natürlich auch die entsprechenden Expertisen und Darstellungen in anderen – literarischen, filmischen, künstlerischen – Quellen ein.
Mit Beiträgen von Florian Baranyi, Armin Beverungen, Till Breyer, Sophie Cras, Sebastian Gießmann, Alasdair King, Ann-Christina Lange, Andreas Langenohl, Nina Peter, Wolfgang Pircher, Ramón Reichert, Dennis Schep, Sebastian Schwesiger
Die Herausgeber: Friedrich Balke, Bernhard Siegert, Joseph Vogl