Dem Konzept des Mediozäns, das diese Konferenz einführen und ausarbeiten möchte, versteht Medien und mediale Prozesse als epochemachend. Als determinierende Kräfte üben sie bleibenden Einfluss auf die Welt aus – das betrifft, lebende und unbelebte Natur, menschliches Dasein, Technik, Kunst und Gesellschaft auf dem Globus wie schließlich auch die Gestalt, Gestaltung und Geschichte des globalen Habitats selbst.
Die These vom Anthropozän geht davon aus, dass die Erdgeschichte jüngst unter den Einfluss der menschlichen Spezies geraten ist, die durch ihr Tun und insbesondere ihre Technik die gesamten Lebensbedingungen des Planeten, von seiner Atmosphäre bis hin zu seiner Geologie, ursächlich dominiert. Das Konzept des Mediozäns dezentriert die anthropozentrischen Implikationen des Anthropozäns und verschiebt den Fokus vom Menschen als exzeptionelle Agentur auf eine vorgängige Agentur der Medialität. Nicht nur ist das Leben selbst mit der Evolution technischer Wesen kurzgeschlossen, technische Operationen wie Signalgebung und Datenverarbeitung (z.B. Kopieren, Nachrichtenübermittlung und -abhörung, Schneiden, Dublizieren usw.) scheinen ein essentieller Bestandteil dessen zu sein, was „Leben“ genannt wird. Die Daseinsweise im Mediozän ist eine hybride, sie besteht aus einer rekursiven Verstrickung von Ontologie und Epistemologie. Sie berücksichtigt die dem Mediozän inhärente „ontographische“ Situation in der die Beschreibung dessen, was ist nicht von dem, was beschrieben wird getrennt werden kann und trägt der Einsicht des Mediozäns Rechnung, dass das Dasein schon immer eine hybride Mischung aus Sein und Technologie gewesen ist.
Ein Schlüsselfaktor ist die Emergenz globaler Mediensysteme, die nicht nur das Leben auf der Erde verändert, sondern überhaupt erst eine Vorstellung des Globalen geschaffen haben, die wiederum auf den Globus rückwirkt, beispielsweise im Hinblick auf ökonomische Praktiken. Die Entdeckung des Elektromagnetismus und die Bedeckung des Globus mit Kabelnetzen für Telegraphie, Telefonie und weltweite Computerkommunikation haben zu einem globalisierten Wirtschaftshandeln sowie einer globalen Ressourcenausbeutung geführt. Dieser Prozess hat nahezu alle Kulturen und Kollektive auf dem Planeten miteinander synchronisiert, die, ebenso wie die weltweite Kollektivierung und Interdependenz kultureller und natürlicher Prozesse, durch Kommunikation mittels Radiowellen, Satelliten und Global Positioning Systems noch einmal erheblich erweitert wurde. Weitere Beispiele sind unser fortschreitendes Vordringen in den Weltraum und die zunehmende Interaktion der Erde mit anderen Himmelskörpern. Dieses Ausgreifen ist besonders in Form des dichten Satellitengürtels um den Globus herum zu erkennen, wobei die Satellitentechnologie wiederum ein mediales Habitat für Kommunikation, Navigation, Meteorologie sowie Unterhaltungsindustrie aufspannt. Des Weiteren können biologische Sachverhalte als mediale Effekte modelliert werden, etwa da, wo die Einbringung künstlicher Substanzen, wie beispielsweise Plastik, in den Stoffkreislauf der Erde zur Veränderung der Arten und dann wiederum der Modifikation ihrer Lebensräume führt. Auch auf die humanbiologische Evolution wirken im Mediozän mediale Prozesse entscheidend ein, wie dies nicht nur am Beispiel des „Human Enhancement“, sondern an gentechnischen Veränderungen und deren anschließender Verselbständigung abgelesen werden kann.
Diese Konferenz lädt die Teilnehmenden dazu ein, das Konzept des Mediozäns und seine möglichen Sphären zu reflektieren. Wie ist das Wechselverhältnis von Natur und Kultur unter Medienbedingungen beschaffen? Welchen Anteil haben Medien sowie mediale Praktiken, Operationen und Prozesse an der Auflösung der Natur-Kultur-Dichotomie im Mediozän? Wie kann menschliche Existenz im Mediozän beschrieben werden, da sie in ein umfassendes Vermittlungs- und Verstrickungsgeschehen eingelassen ist? Wie verhält sie sich zu den nicht-menschlichen Agenten aus Natur, Kunst und Technik? Wie kann eine „Soziologie des Medialen“ ausgearbeitet werden, die nicht nur die notwendige Sozialität von Medien berücksichtigt, sondern auch die Medialität des Sozialen zum Ausdruck bringt? Wenn wir „immer schon“ im Mediozän gelebt haben, warum und aufgrund welcher Medienbedingungen erkennen wir dies erst heute? Ist die Digitalisierung aller Lebensvorgänge als epochale Veränderung anzusehen, als Bedingung von Wissen oder nur als Phase innerhalb des Mediozäns? Wie kann eine Geschichte des Mediozäns geschrieben und umgeschrieben werden? Wie könnte sie (akademisches) Wissen beeinflussen?
Die These vom Mediozän stellt die Frage nach den Existenzbedingungen auf dem Planeten auf eine relationale und operationale Grundlage. Sie verlangt nach einer Neuverhandlung und Neukonzeptionierung des Verhältnisses von Medien, Technik und Natur ebenso wie der Stellung des Menschen und des menschlichen Lebens in Relation zu Medien und Medialität.